Elektromechanik Intelligente Gehäusetechnik für ausfallsichere Highspeed-Datenverarbeitung Autor: Christoph Adam, Leiter Produktmanagement, Geschäftsgebiet Elektronik Die Kombination von Daten, Sprache und Video, neue Mobilfunkstandards und HDTV mit seinen hochauflösenden Bildern erfordern immer höhere Übertragungsfrequenzen und Bandbreiten. Netzwerke und dahinter liegende Steuerungsarchitekturen müssen diese steigenden Datenraten nicht nur bewältigen, sondern auch unterbrechungsfrei funktionieren. Für Wartungsarbeiten oder Updates verbleiben im Jahr gerade mal fünf Minuten und 16 Sekunden, legt man die Verfügbarkeitsklasse 5 zugrunde, die hochzuverlässige Systeme erfüllen müssen. Hochverfügbarkeit d. h. dass ein System auch bei Ausfall einer Komponente verfügbar sein soll, spielt heutzutage in vielen Bereichen angefangen von der Telekommunikation bis zur sicheren Energieversorgung eine große Rolle. In dem einen Fall muss Energie über große Entfernungen übertragen werden, im anderen Fall Daten über ein Glasfasernetz, das z. B. dafür sorgt, dass während einer Fußball-WM oder Olympischen Spielen unter Volllast hochauflösende Daten an Millionen von HD-Fernsehern gestreamt werden können. Dass hierbei eine hohe Verfügbarkeit unabdingbar ist, kann jeder Fußball-Fan bei einem EM-Virtelfinale lebhaft nachvollziehen (dass der Stream aufgrund der Umsetzung einige Sekunden zeitverzögert ist und der Nachbar, der seine TV Bilder über Satellit bekommt, das entscheidende Elfmetertor von Jinas Hector zum 6:5 der deutschen Mannschaft gegen Italien einige Sekunden früher bejubelt, ist ein strukturelles Streaming-Problem, das selbst durch die Hochverfügbarkeit nicht gelöst werden kann). Diverse Ansätze Es gibt diverse Ansätze, um ein System und damit seine Funktionalität möglichst hochverfügbar zu machen und Single-Point-of-Failure-Risiken zu eliminieren – das können Cluster Systeme sein, bei denen die komplette Funktionalität in einem laufenden System mit allen Verbindungen untergebracht ist und parallel dazu ein redundantes System, das im Falle eines Ausfalls des ersten dessen Funktionalität in wenigen ms übernimmt. Oder man legt innerhalb eines Systems alle Komponenten, die eine gewisse Zuverlässigkeit unterschreiten, redundant aus. Oftmals gibt es auch Kombinationen der beiden Ansätze. Auslegung Da ein einziges Element den Erfolg des Gesamtsystems durch Ausfall zum Scheitern bringen kann, sind redundante Systeme meist zweigeteilt aufgebaut: Mechanische Bauteile wie Gehäuse, Stecker und Backplane werden wegen ihrer sehr hohen MTBF (Mean time between Failure)-Werte einfach ausgelegt, die aktive Elektronik (Baugruppen) sowie Stromversorgungen und vor allem Lüfter, deren MTBF aufgrund ihres Aufbaus und der bewegten Teile deutlich geringer ist, werden dagegen redundant, d. h. doppelt ausgelegt. Zudem müssen alle aktiven Elemente für schnelle Austauschbarkeit zusätzlich mit Hot-Swap-Mechanismen im laufenden Systembetrieb ausgerüstet sein – diese Funktionalität muss sowohl von der System-SW wie auch von den einzelnen Hardware-Elementen unterstützt werden. Wenn ein Power Supply ausfällt, muss gewährleistet sein, dass die verbleibenden Stromversorgungen das System weiter mit ausreichend Strom versorgen. Wenn ein Lüfter ausfällt, müssen die restlichen Lüfter das System weiterhin zuverlässig kühlen und wenn eine Karte ihren Dienst verweigert, muss sie schnell austauschbar sein. Gehäusetechnik Die Gehäusetechnik mit der integrierten Backplane spielt also eine ganz vitale Rolle, da durch diese Elemente nicht nur Redundanz und Hot-Swap-Fähigkeit unterstützt, sondern auch eine hohe Signalintegrität garantiert wird, um einerseits Verfügbar- und Wartbarkeit aber auch hohe und zuverlässige hohe Performance zu gewährleisten. Die Funktionalität der Gesamtanwendung ist schnell gefährdet, wenn auch nur ein kleiner Bestandteil des großen Ganzen nicht mitspielt bzw. das Zusammenwirken von SW, HW und Mechanik nicht optimal abgestimmt ist. Was kann also in der Gehäusetechnik effektiv und kostenbewusst unternommen werden, um dies zu erreichen? Je nach Applikation gibt es hier verschiedene Ansätze - für die Realisierung eines hochverfügbaren und hochperformanten Datensteuerungssystems bietet sich AdvancedTCA als Grundlage an. Der Standard wurde für Carrier-Grade-Anwen- 60 PC & Industrie 10/2016
Elektromechanik dungen im Telecom-Bereich entwickelt, um Hochverfügbarkeit auch bei hohem Durchsatz zu garantieren; zudem eröffnet er für Kunden eine möglichst kosteneffiziente „Off-the-Shelf“-Basis, Modularität und den Zugang zu einem umfangreichen Ökosystem von standardisierten Karten und Software für künftig notwendige Anpassungen und Updates. Die benötigte AdvancedTCA-Basisplattform wird basierend auf existierenden Heitec 19“-Gehäusetechnik Komponenten, einer Backplane im 9 HE Eurokarten-Format und mit weiteren Standardelementen kombiniert „verpackt“. Vorteil hier ist, dass es eben eine große Anzahl von Standardkarten auf dem Markt gibt, die einen Großteil der Anforderungen abdeckt und damit der Kunde die Möglichkeit hat, je nach Applikation aus dem großen Pool des ATCA ECO Systems auszusuchen, was er an Kartenfunktionalität benötigt. Was sind jetzt aber konkret die Anforderungen an die Mechanik? Wärme-Management In dem Maße, in dem in modernen Kontroll- und Übertragungssystemen Unmengen von Daten verarbeitet werden und moderne Ethernet-Netze schon bis zu 100 GBit/S an Übertragungsleistung anstreben, werden durch Abwärme auch hohe Temperaturen im System freigesetzt oder es entstehen u. U. sogenannte Hot Spots. Der Systemkühlung und dem zugrundeliegenden Wärmemanagement kommt also eine tragende Rolle zu. - Es ist beispielsweise nicht nur damit getan, die Lüfter, die aufgrund ihres beweglichen Aufbaus im Vergleich zu den passiven Elementen eine relativ hohe Ausfallquote (bzw. geringe MTBF) haben, redundant auszulegen, sondern sie müssen im Wartungsfall auch „Hot Swap“ fähig, leicht zugänglich und fehlerfrei auch von nicht-fachkundigem Personal austauschbar sein – was auch für alle anderen Bauteile mit geringerer MTBF wie z. B. die Stromversorgungen gilt. Für die Hochgeschwindigkeitsdatenverarbeitungs-Applikation werden mehrere Lüfter integriert, die gegebenenfalls bei Ausfall eines der anderen Lüfter zuverlässig weiterarbeiten und eine Überhitzung des Systems oder ein selbständiges Abschalten verhindern. Seitens der Elektronik wird durch den Shelf-Manager bei Ausfall eines Lüfters die Leistung der anderen entsprechend angepasst, d. h. beispielsweise die Umdrehungszahl erhöht. Mechanisch unterstützt wird bei Ausfall eines der Lüfter die Systemkühlung durch die Lenkung der Luftströmung von vorne unten nach hinten oben, wobei ein Klappensystem mit „Ventil-Funktion“ dafür sorgt, dass bei Ausfall eines der Lüfter die erzeugte Luft der anderen nicht nach vorne entweicht, sondern dass sie im System verbleibt und der benötigte Restdruck, der erforderlich ist, um das Gesamtsystem weiter effektiv zu kühlen, bestehen bleibt. Leichte Austauschbarkeit der aktiven Komponenten Mit der Entwicklung verschiedener Standards und immer komplexerer Applikationen mit mehr Bandbreite, größeren Datenmengen und geringeren Latenzeiten wird ein simpler Vorgang wie das „Ziehen und Einstecken der Karten“ zu einer noch größeren Herausforderung. Je mehr Pins im Spiel sind, desto höhere Kräfte sind erforderlich, um die Karten zu ziehen und zu stecken. Die Verwendung erprobter Griffe mit Hebel-Zieh-Mechanik für leichtes Herausziehen und Einstecken der Boards unterstützt die Bedienung. Integrierte Microswitches signalisieren der SW, dass der Servicetechniker eine Baugruppe austauschen will. Das Auslösen eines unmittelbaren Alarms durch die Microswitches und die Weiterleitung an eine externe Überwachungsstelle ist als Teil der Telekom-Spezifikation implementiert. Das System ist auf schnellen Zugang zu den redundant ausgeführten Komponenten ausgelegt, damit diese auch schnell und einfach im laufenden Betrieb ausgetauscht werden können. Dazu gehört auch die unmissverständliche Kennzeichnung für verbesserte Wartbarkeit, wie sie die Kennzeichnung der Führungsleisten darstellt, die an ihrer Vorderseite so codiert und farblich abgesetzt werden können, dass eine fehlerhafte Bedienung ausgeschlossen ist. Signalintegrität Hochperformante serielle Datenverarbeitung und Hochfrequenzverbindungen stellen erhöhte Anforderungen in punkto sauberer Signalführung und Leiterplattenübergänge. Der Signalintegrität, und damit einer störungsfreien Übertragung, kommt eine entscheidende Bedeutung zu, sie ist aber gerade bei den heute üblichen hohen Datenmengen besonders schwierig umzusetzen – hier entstehen bei Übertragungsraten im mehrstelligen GBit/s-Bereich schon Hochfrequenzeinflüsse, die es früher bei parallelen Bussystemen nicht gab. Bereits kleinste Störfaktoren können die Signalqualität massiv negativ beeinflussen. Dies stellt in einem komplexen System, in dem jeder Kanal die serielle Übertragung unterstützen kann, hohe Ansprüche an Leiterplattenstrukturen, Verkabelung, elektromagnetische Verträglichkeit und Steckverbindungen. Gerade bei einer AdvancedTCA-Backplane mit ihren extrem hochgetakteten Punkt-zu-Punkt-Verbindungen zwischen den Boards kommt es auf ein möglichst nahtloses Zusammenwirkung von Steckverbindern und Backplane an, die mindestens 15 Jahre den zuverlässigen Kontakt garantieren müssen. Nicht nur das Design, sondern auch Simulation und Test sind umso mehr gefordert, um Störimpulse, Impedanz oder EMV-Einflüsse festzustellen. Hier sollte bereits in der frühen Designphase eine Risikoanalyse durchgeführt werden, um mögliche störende Einflüsse zu berücksichtigen und auszuschließen, damit nicht nur der spätere Testaufwand, sondern auch das Risiko bei komplexen Anwendungen erheblich verringert werden kann. Backplane Die hohe Übertragungsgeschwindigkeit ist aber nicht nur auf der Backplane maßgeblich, sondern auch für diverse Baugruppen. Da es bei diesen Anwendungen wichtig ist, in dem gesamten embedded System (heutzutage auch CPS - Cyber Physical System – genannt) auf eine extrem hohe Echtzeitperformance zu kommen, besteht die kundenspezifische Möglichkeit, die Signalintegrität auch auf der Baugruppenebene zu verifizieren. Alle Baugruppen und deren Funktionalität im Zusammenspiel mit der Backplane können überprüft werden. So wird die Backplane auf Signalintegrität unter verschiedenen Bedingungen kontrolliert, um sicherzustellen, dass auch bei einem potentiellen System-Update mit weiteren Karten ein störungsfreies Arbeiten bei höherer Prozessorleistung garantiert werden kann. Wenn man von der Kommunikationswelt zu anderen Anwendungsgebieten wie beispielsweise der PC & Industrie 10/2016 61
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