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3-2020

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Fachzeitschrift für Medizintechnik-Produktion, Entwicklung, Distribution und Qualitätsmanagement

Medical Devices

Medical Devices Regulation Verschiebung des Geltungsbeginns der MDR Mehr Zeit aber unveränderte Herausforderungen für Medizinproduktehersteller Verschiebung der MDR war sinnvoll. Corona-Krise und Geltungsbeginn stellten Doppelbelastung für Medizintechnikbranche dar (Bildquelle: ZVEI) Autor: Hans-Peter Bursig, ZVEI- Fachverbandsgeschäftsführer Elektromedizinische Technik ZVEI - Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e. V. www.zvei.org Die Mitgliedstaaten der EU und das Europäische Parlament haben im April 2020 beschlossen, den Geltungs beginn der MDR um ein Jahr auf den 26. Mai 2021 zu verschieben. Dafür wurde die Verordnung (EU) 2020/561 verabschiedet. In den letzten Jahren ist von vielen Seiten immer wieder eine Verschiebung der MDR gefordert worden. Denn bis heute sind noch immer nicht genügend Benannte Stellen für die MDR notifiziert, weil der Prozess der Akkreditierung länger dauert als erwartet. Außerdem fehlen weiterhin zahlreiche Umsetzungsakte und Leitlinien zur Interpretation der Anforderungen der MDR. Diese sind aber besonders notwendig, da die MDR eine EU- Verordnung ist, die nicht erst in nationales Recht umgesetzt werden muss, sondern direkt und unmittelbar anwendbar ist. Anders als bei der bisher geltenden EU-Richtlinie über Medizinprodukte (MDD) ist für deutsche Hersteller in Zukunft nicht mehr das Medizinproduktegesetz (MPG) maßgeblich, sondern der deutsche Text der MDR. Das MPG wird mit Geltungs beginn der MDR sogar außer Kraft treten. Mit der Verschiebung des Geltungs beginns der MDR verschwinden die bisher immer wieder beklagten Probleme nicht. Die Herausforderungen für die Hersteller von Medizinprodukten bleiben bestehen. Herausforderungen • Alle Produkte müssen einer erneuten Konformitätsbewertung auf Basis der MDR unterzogen werden, wenn sie auch nach dem Geltungsbeginn weiter in Europa in Verkehr gebracht werden sollen. Das ist, außer für Produkte der Klasse I, nur möglich, wenn eine Benannte Stelle nach MDR zur Verfügung steht. Aktuell sind aber erst dreizehn Stellen für die MDR notifiziert worden. • Für eine begrenzte Zeit können auch Medizinprodukte mit einer CE-Kennzeichnung auf Basis der MDD weiter in Verkehr gebracht werden, solange die entsprechenden Zertifikate der Benannten Stelle gültig sind. Hier ist ein Hersteller möglicherweise darauf angewiesen, dass seine Benannte Stelle überhaupt noch MDD-Zer- 34 meditronic-journal 3/2020

Medical Devices Regulation tifizierungen anbietet. Außerdem dürfen diese Produkte nicht wesentlich verändert oder weiterentwickelt werden. • Zusätzlich ist zu beachten, dass jeder Hersteller alle internen Prozesse und die Dokumentationen der Produkte auf die Anforderungen der MDR umstellen muss. Dies gilt auch für Hersteller von Produkten der Klasse I. Der Aufwand ist erheblich, benötigt Zeit und die schon angesprochenen fehlenden Umsetzungsakte und Leitlinien zur MDR. Verschiebung grundsätzlich sinnvoll Grundsätzlich ist die Verschiebung des Geltungsbeginns der MDR aus Sicht der Hersteller aber dennoch sinnvoll (siehe Abbildung), weil sie Zeit schafft, eine ausreichende Anzahl an Benannten Stellen für die MDR zu notifizieren. Außerdem bringt diese Entscheidung zusätzliche Zeit, die Vorbereitungen für die Umsetzung der MDR sorgfältig fortzuführen und abzuschließen. Ganz klar ist die Absicht des europäischen Gesetzgebers, dass die EU-Richtlinie über Medizinprodukte (MDD) in der Zeit bis zum neu beschlossenen Geltungsbeginn der MDR im Jahr 2021 weiter gültig sein soll. Allerdings kann das in der Praxis eine große und zusätzliche Komplexität für Hersteller und Behörden bedeuten. • Bereits jetzt nehmen einige der Benannten Stellen keine Aufträge auf Basis der MDD mehr an, weil die eigenen Mitarbeiter mit der Umstellung auf die MDR ausgelastet sind. Es kann also sein, dass MDD-Zertifikate, die im Jahr 2020 auslaufen, nicht verlängert werden können. • Einige Mitgliedstaaten der EU könnten die nationale Umsetzung der MDD bereits außer Kraft gesetzt haben. Die Hersteller sehen sich dann möglicherweise komplexen rechtlichen Bedingungen gegenüber, je nachdem in welchen EU-Mitgliedstaat sie liefern wollen. In der Praxis könnte es also vorkommen, dass in einem Mitgliedstaat der EU ein Medizinprodukt, das ein Bestandsprodukt ist, trotz der Verschiebung des Geltungs beginns der MDR kurzfristig nicht verfügbar ist. Hier müssen die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten kurzfristig pragmatische Rahmenbedingungen setzen. Denn dieser Fall sollte unbedingt vermieden werden, war das doch der anfängliche Grund für die Verschiebung. Notwendige Gesetzesanpassungen: pragmatische Reaktion in Deutschland In Deutschland wird bereits pragmatisch auf die neue Situation reagiert. Denn auch hier entsteht durch die Entscheidung den Geltungsbeginn der MDR zu verschieben, eine komplizierte rechtliche Situation. Der Deutsche Bundestag hat mit Blick auf das Datum für den ursprünglichen Geltungsbeginn der MDR bereits im März 2020 das „Gesetz zur Anpassung des Medizinprodukterechts an die Verordnung (EU) 2017/745 und die Verordnung (EU) 2017/746“ (MPEUAnpG) beschlossen. Allerdings ist das Gesetz bisher noch nicht im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden und deshalb formal noch nicht gültig. Das MPEUAnpG ist notwendig, um das jetzt in Deutschland geltende Medizinproduktegesetz (MPG) außer Kraft zu setzen. Das MPG dient der Umsetzung der MDD in deutsches Recht und muss deshalb außer Kraft gesetzt werden, weil die MDR die MDD ablöst. Im Rahmen des MPEUAnpG wurde auch das „Medizinprodukterecht- Durchführungsgesetz“ (MPDG) beschlossen. Mit dem MPDG werden die Vorschriften des Medizinprodukterechts in Deutschland an die Anforderungen der MDR angepasst. Durch die Verschiebung des Geltungsbeginns der MDR muss jetzt auch das MPEUAnpG geändert werden, weil zahlreiche Regelungen nun erst zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft treten können. Diese Anpassung des MPEU- AnpG wird kurzfristig durch eine Regelung im „Zweiten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ erfolgen. Gültigkeit des MPG verlängert Für Hersteller von Medizinprodukten ist auch hier von Bedeutung, dass der deutsche Gesetzgeber die Gültigkeit des aktuellen Rechtes um ein Jahr verlängert. Das MPG wird bis zum 26. Mai 2021 weiter gelten und den rechtlichen Rahmen für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten bilden. Grundsätzlich ist die Rechtslage in Deutschland und Europa damit für die nächsten zwölf Monate geklärt. Die Wirkung in der Praxis wird aber erst beurteilt werden können, wenn die Gesetzestexte endgültig vorliegen. Aus Sicht der Hersteller von Medizinprodukten sind Detailfragen zur Umsetzung in der Praxis sehr wahrscheinlich. Wie sollen die Hersteller jetzt auf die Verschiebung des Geltungsbeginns reagieren? An den Empfehlungen, die in früheren Ausgaben gemacht wurden, hat sich durch die Verschiebung des Geltungsbeginns tatsächlich nichts geändert: • Jeder Hersteller sollte sein Produktportfolio sorgfältig prüfen und entscheiden welche bereits vorhandenen Produkte nach den Anforderungen der MDR einer erneuten Konformitätsbewertung unterzogen werden sollen. Sobald eine Benannte Stelle für die MDR verfügbar ist, sollte dieser Prozess begonnen werden. • Die vorhandenen Zertifikate nach MDD sollten auf die Dauer ihrer Gültigkeit geprüft werden, um sicherzustellen das Bestandsprodukte so lange wie möglich mit einer CE-Kennzeichnung nach MDD in Verkehr gebracht werden können. Diese Möglichkeit sollte besonders für die Bestandsprodukte geprüft werden, für die keine erneute Konformitätsbewertung nach MDR angestrebt wird. • Bei der Entwicklung neuer Produkte sollte der neue Geltungsbeginn der MDR und die Verfügbarkeit einer Benannten Stelle nach MDR unbedingt berücksichtigt werden. Allerdings kommen durch die Verschiebung des Geltungsbeginns jetzt auch neue Punkte hinzu. • Jeder Hersteller sollte die rechtliche Lage in jedem EU-Mitgliedstaat prüfen, in dem seine Produkte vertrieben werden. Eventuell gibt es wegen der längeren Gültigkeit der MDD überlappende Anforderungen, zum Beispiel im Bereich der Meldung von Vorkommnissen. Einige Mitgliedsstaaten könnten hier schon die Anforderungen der MDR zugrunde legen. • Wenn eine Benannte Stelle nach MDR zur Verfügung steht, können auch bereits vor dem neuen Termin für den Geltungsbeginn der MDR Medizinprodukte mit einer CE-Kennzeichnung nach MDR in Verkehr gebracht werden. Der Hersteller muss dann aber bereits alle Anforderungen der MDR umgesetzt haben, zum Beispiel für die Bearbeitung von Vorkomm nissen. Der zuvor genannte Punkt ist in diesem Fall von besonderer Bedeutung. Der Hersteller muss im eigenen Interesse sicherstellen, dass seine eigenen Prozesse mit den Verfahren in allen EU-Mitgliedsstaaten übereinstimmen, in denen das Produkt vertrieben wird. Komplexe Situation in den nächsten zwölf Monaten Für die Hersteller entsteht durch die Verschiebung des Geltungsbeginns der MDR in den nächsten zwölf Monaten eine komplexe Situation. Einerseits gewinnen die Hersteller durch die Verschiebung Zeit, die für die Umsetzung der neuen Anforderungen der MDR willkommen ist. Zusätzlich erhöht sich die Wahrscheinlichkeit rechtzeitig eine Benannte Stelle nach MDR zu finden. Allerdings müssen sich die Hersteller in dieser Zeit auch darauf einstellen, dass die MDD und die nationalen Vorschriften zur Umsetzung parallel zu den Anforderungen der MDR gelten werden. Einerseits entsteht dadurch Planungssicherheit für das Inverkehrbringen der Produkte. Andererseits entsteht dadurch auch zusätzliche Komplexität und Aufwand, wenn zwei Systeme parallel betrieben werden müssen. Dabei sollte aber auch berücksichtigt werden, dass diese Situation nur für die begrenzte Zeit der nächsten zwölf Monate besteht. Wie stark ein Hersteller betroffen ist hängt außerdem davon ab, wie das eigene Produktportfolio aussieht und wie weit die Vorbereitung auf die MDR schon abgeschlossen ist. ◄ meditronic-journal 3/2020 35

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