Messtechnik Präzise Laufzeit- und Längenmessungen mit dem vektoriellen Netzwerkanalyzer Moderne vektorielle Netzwerkanalyzer (VNA) sind heute in der Regel mit der Funktionalität zur Längenmessung durch das DTF-Verfahren ausgerüstet. Bild 1: Messaufbau Transfermessung, 2-Tor-Messung, S21 Sehr genaue Messungen lassen sich jedoch durch Ausnützung der ureigensten Funktion des vektoriellen Netzwerkanalyzers, nämlich der Messung der Phase, erreichen. Die Hintergründe und der Messaufbau der Längenmessung, anhand der Auswertung des Phasenverlaufs über der Frequenz, werden in diesem Artikel aufgezeigt. Aufgrund von Laufzeiteffekten erfährt ein am Kabelanfang eingespeistes Signal zum Kabelende hin eine Verzögerung. Betrachtet man gleichzeitig (Oszilloskop) die Phasenlage des Signals zwischen Anfang und Ende der Strecke, wird man eine Phasenverschiebung erkennen. Voraussetzung ist, dass das Messobjekt nicht dispersives Verhalten aufweist, die Laufzeit über der Frequenz muss konstant bleiben, was bei Leitungen, Adaptern und Steckern gegeben ist. Die Laufzeit für ein Stück Kabel ist abhängig von seiner mechanischen Länge und dem Material des Dielektrikums (ε). 20 hf-praxis 4/2012 τ l mech ∗ c ε c = 300 000 km/s Das in den nachfolgenden Beispielen verwendete Kabel weist eine mechanische Länge von 5 m auf, ε liegt bei einem Wert von 2,3 für Isoliermaterial PVC. Die Laufzeit errechnet sich unter Anwendung der Formel auf 25,3 ns. Aus der mechanischen Länge kann mit dem Verkürzungsfaktor die elektrische Länge berechnet werden, sie liegt im vorliegenden Beispiel bei 7,6 m. Damit sind die Parameter des Messobjekts anhand von Datenblattwerten grob bestimmt. Ein eingespeistes Sinussignal wird am Kabelende mit 25 ns Verzögerung eintreffen, was einer entsprechenden Phasenverschiebung zwischen Anfang und Ende gleichsteht. Dieser Effekt kann mit einem Oszilloskop nachvollzogen werden, wenn die Signale an der Quelle und am (reflexionsfreien) Ende über zwei getrennte Kanäle simultan dargestellt werden. In einem besonderen Fall ist jedoch keine Phasenverschiebung mehr erkennbar: Und zwar dann, wenn die Laufzeit mit der Periodendauer des Signals deckungsgleich wird. Die Betonung liegt auf deckungsgleich! Erhöht man die Frequenz, treten fortlaufend weitere Konstellationen auf, die dazu führen, dass die Phasenverschiebung nicht ohne weiteres sichtbar ist, und zwar bei allen ganzzahligen Vielfachen der Frequenz. Für unser Beispielmessobjekt mit 5 m Länge und 25 ns Laufzeit heißt das: Bei einer Frequenz f, deren Periodendauer T bei 25 ns liegt, also konkret bei 40 MHz und deren Vielfachen. f = 1/T = 1/25 ns = 40 MHz Betrachtet man die Vorgänge etwas näher, dann wird die gewählte Formulierung „Phasenverschiebung erkennbar“ deutlicher. Das Signal erfährt durch die Laufzeitverschiebung grundsätzlich immer eine Phasenverschiebung, nur im „besonderen Fall“ beträgt diese exakt 360°. Und genau das ist nicht ohne weiteres erkennbar. Daher birgt das Messverfahren der Phasenlaufzeit gewisse Fußangeln, die es zu umgehen gilt. Betrachten wir hierzu zunächst die Grundformel für die Berechnung des augenblicklichen Phasenwinkels eines Signals an einer bestimmten Stelle (nach bestimmter Laufzeit τ) auf dem Kabel: φ = -360° * f * τ τ = Laufzeit bis zum Messort Sie gibt als Ergebnis den Phasenverschiebungswinkel aus, der am Messort bzw. Kabelende erkennbar sein wird. Nun könnte man die Formel leicht so umstellen, dass als Ergebnis die Laufzeit τ ausgegeben wird. Das ermöglicht, durch Messung des Phasenwinkels φ bei einer Frequenz f, den direkten Rückschluss auf
Messtechnik Bild 2 Auswirkung bei zu großem Step-Abstand die Laufzeit, und die wiederum auf die Länge des Kabels. An dieser Stelle lauert nun aber die Fußangel! Wir können nicht beurteilen, ob bei dem gemessenen Wert des Phasenwinkels die 360°-Winkelgrade schon mal erreicht worden sind, oder eventuell sogar mehrere Durchläufe der 360°-Marke, sprich Phasensprünge, stattgefunden haben. In diesem Fall würde der, in die nach τ umgestellte Formel, eingesetzte Messwert φ zu einem völlig falschen Ergebnis der Laufzeit führen. Der vektorielle Netzwerkanalyzer kann sehr genaue Phasenmessungen durchführen, hierfür ist er absolut prädestiniert. Der Messaufbau ist in Bild 1 dargestellt, es handelt sich um eine gewöhnliche 2-Tormessung, ermittelt wird der S-Parameter S21. Vorbereitungen zur Messung Bild 3: Messung an 5 m Koaxkabel mit ausreichendem Step-Abstand (blau) und mit Unterabtastung (orange) Bevor die notwendige komplette TOSM-Kalibrierung durchgeführt wird, sollte man kurz weiteren Überlegungen etwas Raum geben, man erspart sich dadurch eventuell die Zeit für einen wiederholten Kalibrierdurchgang. Wie bereits dargestellt, führt die Nichtkenntnis von bereits erfolgten Phasensprüngen zu stark fehlerhaften Laufzeitwerten. Der Analyzer wird uns alle über die Laufzeit vollzogenen Phasensprünge visualisieren. Das kann er jedoch nur dann korrekt ausführen, wenn der Step-Abstand des durchfahrenen Frequenzbereichs auch die entsprechende Auflösung zulässt. Wir wollen auch diesen Sachverhalt etwas detaillierter betrachten: Für eine korrekte Messung ist die gewählte Anzahl der Steps über der Frequenzspanne (Start / Stop) bzw. der Frequenzabstand zwischen den Steps relevant. Innerhalb des Step-Abstandes darf der Phasenverlauf nicht mehr als 180° betragen, denn sonst werden einer oder mehrere Phasensprünge ausgelassen, was unweigerlich zu einer Fehlmessung führt. Den tatsächlichen Phasenverlauf zeigt die rote Kurve in Bild 2. Die grüne Kurve wurde aus den Werten bei zu großem Step-Abstand konstruiert. In der Messtechnik ist diese Problematik durchaus nicht neu, sie wird allgemein als Unterabtastung bezeichnet. Während man von Messgeräten aus anderen Bereichen eventuell die Ausgabe von Warnhinweisen zur Unterabtastung gewohnt ist, sind wir hier auf uns gestellt. Der Analyzer kann nicht selbständig erkennen, wie lange nun das an den Ports angeschlossene Kabel bzw. die Laufzeit des Messobjekts sein wird, um dann zu melden, dass man gerade den Step-Abstand ungünstig wählt. Der Messtechniker muss im Vorfeld die notwendige Einstellung selbst entscheiden; das ist gut so, denn schließlich soll er durch zu hohe Intelligenz der Geräte, die manchmal schon wie Selbstherrlichkeit anmutet, nicht entmündigt, allenfalls entlastet werden. Es ist also notwendig, die Laufzeit des Messobjekts überschlägig abzuschätzen: Unser Musterkabel hat eine mechanische Länge von 5 m, was beim Ansatz der Laufzeit von 5 ns/m zu einem Schätzwert von 25 ns führt. Wie anfangs bereits berechnet, entspricht eine Periodendauer von T = 25 ns einer Frequenz von 40 MHz. Für eine ordentliche Auflösung der Periodendauer und ihres 360°-Phasenverlaufs wäre 1/10 der Frequenz als Step- Abstand, hier im Beispiel also 4 hf-praxis 4/2012 21
Laden...
Laden...
Laden...