3D-Druck Additive Manufacturing in der Medizintechnik Status und Ausblick für Humanmedizin, Orthopädie, Dentaltechnik und Veterinärmedizin, Teil 2 Bild 1: Frank Carsten Herzog: „Vor uns liegen neue bionische Produkte, neue Designs, neue Werkstoffe, nachhaltigere Produkte und eine Ausdehnung der Applikationen.“ Bild: HZG Management Autor: Frank Carsten Herzog, Gründer & Gesellschafter Concept Laser GmbH und Geschäftsführer HZG Management GmbH & Co. KG info@hzg-group.org www.hzg-group.org Bild 2: Arbeitsvorbereitung mit STL-Daten in einem Dentallabor (Bild: Provvido) Additive Manufacturing (AM) entwickelt sich sehr schnell weiter und erobert immer mehr Anwendungsgebiete. Als grüne Technologie verändert AM zunehmend disruptiv bisherige Fertigungsstrategien. Frank Carsten Herzog (Bild 1), Gründer & Gesellschafter Concept Laser GmbH, Lichtenfels (D) und Geschäftsführer der HZG Management GmbH, Coburg (D) berichtet über den 3D-Druck und stellt einige aktuelle Beispiele aus der Medizintechnik vor. Situation in der Dentaltechnik An dieser Stelle möchte ich Sie auf die Wirtschaftlichkeit anhand eines Beispiels aus der Dentaltechnik aufmerksam machen. Zahntechniker arbeiten konventionell als Handwerker. Dies ist mit hohen Material- und Personalkosten verbunden. Für Zahnersatz gibt es fixierte Preisvorgaben. Was machen nun Zahntechniker und Zahnärzte in der Vergangenheit um betriebswirtschaftlich zu punkten? Sie wichen auf preisgünstigere Materialen aus oder beschafften Implantate im Ausland. Oder beides. AM ging hier einen anderen Weg. Zahnersatz, wie Kronen oder mehrgliedrige Brücken, entstehen mit patientenspezifischen Geometrien im Bauraum einer Metall-Laserschmelzanlage (Bild 2 und 3). Manchmal 80 oder 100 Implantate zeitparallel. Für zahntechnische Labore, die sich zu Druckzentren ent wickelten, ein gewaltiger Sprung in der Wirtschaftlichkeit. Grob überschlagen kann Zahnersatz, betrachtet über alle Volumina zwischen 60 bis 70 % günstiger sein, als handwerkliche Lösungen - Implantat für Implantat. Zur vollkommenen Ausschöpfung von Kapazitäten bedienen diese Druckzentren heute einen großen Kundenkreis von Zahnärzten und können so preiswerten, passgenauen und schnell verfügbaren Zahnersatz bereitstellen. Diese Strategie ergibt auch für den Patienten Vorteile, nicht nur den der schnellen Verfügbarkeit. So können hochwertige, extrem langlebige Materialien, wie Titan zum Einsatz kommen. Titan ist extrem widerstands fähig. Es wird insbesondere von Allergikern gut angenommen. Die Passgenauigkeit ist ein weiterer Vorteil. Besonders interessant wird es bei mehrgliedrigen Brücken. Traditionell treten hier Spannungen im Implantat auf. Bezogen auf einen langen Lebenszyklus kann es für den Patienten zu bestimmten Einschränkungen kommen. Ein 3D-gedrucktes Implantat hat, durch der Wärmebehandlung des Bauteils im Post Processing, den Freiheitsgrad eines E-Moduls: Spannungen werden verhindert und der Kauprozess wird unterstützt. Patientenwohl und betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten sind also keine Gegensätze. Beispiel 3D-Hüftgelenkpfannenimplantat von Stryker Angesichts der Demografie der Babyboomer in der westlichen Welt spielen orthopädische Implantate für den Bewegungsapparat des Menschen eine immer größere Rolle. In der Medizintechnik geht man bei Anwendungen für Hüfte (Bild 4), Knie und Wirbelsäule von einem relevanten Zukunftsmarkt aus. Stryker aus Cork (Irland) entwickelte daher ein neues 3D-Hüftgelenkpfannenimplantat aus Titan (Bild 5), her- Bild 3: 3D-Dentalbauteile auf der Bauplatte einer Metalllaserschmelzanlage (Bild: Concept Laser) 38 meditronic-journal 4/2020
3D-Druck Bild 4: Stryker: Gesamtansicht des Implantats: 3D-Hüftgelenkpfannenimplantat aus Titan (Bild: Stryker) gestellt in Electron Beam Melting- Technologie (EBM). Es wurde 2016 durch die US-amerikanische Food and Drug Administration zertifiziert. Stryker nennt dieses Produkt Trident II Acetabular System und stellt heraus, dass es eine zementfreie Lösung darstellt, was die Langlebigkeit im Körper massiv verbessert. Der 3D-Druck ermöglicht äußerst komplexe Geometrien, die konventionell nicht hergestellt werden können. Das 3D-gedrucktes Hüftgelenkpfannenimplantat aus Titan bietet langlebige mechanische Eigenschaften einer Kinematik, bestehend aus einem Kugelkopf und einer Kugel, wahlweise aus Metall, Keramik, Polyethylen oder einem Aluminium-Keramik-Hybrid, sowie einem Verriegelungselement. Offenporigen Oberflächen des 3D-Metallteils dienen der verbesserten Aufnahme im Gewebe. Titan ist zudem auch für Allergiker geeignet. Dieses Implantat gibt es in verschiedenen Dimensionen (Bild 6), um es patientenspezifisch anzupassen, das OP-Risiko herabzusetzen und die Mobilität des Patienten optimal zu verbessern. Im Jahr 2017 schlossen GE Additive und Stryker eine Partnerschaftsvereinbarung, um das Wachstum von Stryker in der additiven Fertigung zu unterstützen. Die Vereinbarung umfasst neue additive Maschinen, Materialien und Dienstleistungen für die globale Lieferkette. Aufbauend auf dieser Allianz baute Stryker 2019 für 200 Mio. US-Dollar seine 3D-Forschungseinheiten in Cork aus und errichtete für diverse 3D-Druck-Applikationen eine ganze 3D-Fabrik, die voll digitalisiert in allen Prozessen ausgelegt wurde. Natürlich gibt es zahlreiche Anbieter solcher 3D-Lösungen. Der Ausgewogenheit halber, nenne ich B. Braun, Surgival, SurgTech, ImplanTech, Imeco, Medacta, Link, Go Eassdy oder Rentec. Stand der Technologie am Beispiel Schädelimplantate Künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Automation sind Pfeiler der Industrie 4.0-Strategie. Es sind Themen die auch Additive Manufacturing beflügeln. Sie werden auch den 3D-Druck zukünftig prägen, beschleunigen, innovativ fortentwickeln und helfen, ihn in die Fläche zu bringen. In der Medizintechnik, mit ihren oft patientenspezifischen Lösungen, spielt dies eine untergeordnete Rolle. Dennoch ergeben sich für ein digitales Produkt enorme Spielräume. So kann ein Operateur bei einem Schädel implantat aufgrund des Röntgenbildes und der Umsetzung in STL-Daten, ein höchst passgenaues Implantat anfertigen lassen. Mit einer definiert porösen Oberfläche trägt er Sorge, dass das Implantat optimal vom menschlichen Gewebe angenommen wird. Der Clou für OP-erfahrene Mediziner ist die Aus legung der Implantate an den Übergangsstellen zum Schädel. Durch deren Auslegung können das Bauteil schneller eingesetzt werden und die OP-Risiken gesenkt werden. Durch schnellere Heilungsfortschritte profitiert der Patient, aber auch durch ein Plus an Lebensqualität. Lebensqualität des Patienten ist insgesamt ein wesentlicher Auftrag an die medizinische AM-Technologie. Bild 5: 3D-Hüftgelenkpfannenimplantat aus Titan (Bild: Stryker) Aktuelle Marktentwicklung des 3D-Drucks Bild 6: Stryker: 3D-Hüftgelenkpfannenimplantat aus Titan (Bild: Stryker) Die AM-Branche befindet sich auf der Anbieterseite momentan jedoch in einer Konsolidierungsphase. Das enorme Wachstum, vor allem der letzten zehn Jahre mit zahlreichen Innovationsschüben, und die Preiskonsolidierung, zeigen hier Wirkung. Kleine Start-ups drängen dennoch mit kreativen Lösungen in einen dynamischen Markt. Ein Markt, der immer noch weit entfernt ist von einer Sättigungsphase oder Verdrängungskämpfen. Für die Anwenderseite hingegen geht es weiter steil bergauf. Das gilt für Unternehmen aus der Medizinbranche, wie in anderen Branchen. Dies gilt aber auch für die zahlreichen 3D-Druck-Dienstleister, die mit ihrer AM-Expertise und AM-Fertigungskapazitäten zahlreiche Branchen in die Welt des 3D-Drucks begleiten. Die Möglichkeiten von AM, existierende Produkte zu verbessern sind einfach zu verlockend. Stichworte sind bionisches Design, Leichtbau, patientenspezifische Bauteile, der One-Shot-Ansatz, der Bauteile einer Baugruppe ohne Montageaufwand drastisch reduziert, dezentrale Fertigung und schnelle Verfügbarkeit. Auf einzelne Punkte werde ich noch eingehen. Auch in der Veterinärmedizin wird der 3D-Druck eingesetzt. Bild 7 zeigt einen Ara mit seinem defekten Schnabel und im anderen Bildteil mit einer Schnabel-Prothese aus dem 3D-Drucker. Mit seinem defekten Schnabel hätte der Ara nicht mehr fressen können und wäre verhungert. Deshalb bekam er eine individuelle Prothese mit der er jetzt normal weiterleben kann. Wissen und Designfaktoren Bionische Konstruktionen werden durch 3D-Metalldruck möglich. Sie versprechen Leichtbau, selektive Dichten und definierte Oberflächen. Für Implantate ist dies ein wesentlicher Vorzug. Generell gilt aber auch: Eine 3D-Geometrie sollte nicht mit einem konventionellen Bauteil identisch sein. Indem ich eine Kopie herstelle, bleiben viele Möglichkeiten ungenutzt. Die Geometriefreiheit, die Ressourcenoptimierung oder die Reduzierung auf wesentlich weniger Bauteile einer Baugruppe in One-Shot- Technik. Natürlich sind die digitale meditronic-journal 4/2020 39
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