Reflow Der Popcorn-Effekt Wenn es im Reflow-Ofen „knackt“ Popcorn © Brent Hofacker Der Popcorn-Effekt ist ein von vielen Bestückern bzw. EMS-Dienstleister (Electronics Manufacturing Services) bekanntes und gefürchtetes Phänomen. Bauteile weisen bei Anlieferung keine Auffälligkeiten in Form von Rissen, Blasen oder elektrischen Fehlfunktionen auf, doch die fertige Baugruppe bleibt ohne Funktion. Woran liegt es, dass einzelne Halbleiter bzw. ganze ICs nach dem Löten elektrische Fehlfunktionen aufweisen, obwohl diese innerhalb der Spezifikation verarbeitet wurden? Ein genauer Blick auf die Halbleitergehäuse kann die Antwort liefern: Risse, Blasen oder sogar Abplatzungen am Gehäuse verraten es: Der Popcorn-Effekt hat die Bauteile zerstört. Autoren: Dr.-Ing. Paul Braun (Bild) M.Sc. Alexander Walter Dipl.-Ing. Thomas Kuhn Institut für Materialanalyse HTV Halbleiter-Test & Vertriebs-GmbH www.htv-gmbh.de Einfach erklärt Der Popcorn-Effekt ist das Aufplatzen der Gehäuse der elektronischen Bauteile unter der Hitze des Lötvorgangs. Dieser Effekt erinnert stark an den süßen oder salzigen Snack aus dem Kino, wobei vergleichbare physikalische Effekte zugrunde liegen. Im Falle des Popcorns aus dem Kino enthält der verwendete Mais stärkehaltiges Speichergewebe, das sogenannte Endosperm, in welchem Wasser gebunden ist. Wird der Mais auf über 100 °C erhitzt, will das enthaltene Wasser den Aggregatzustand von flüssig auf gasförmig ändern. Unter atmosphärischem Druck würde 1 cm 3 Wasser zu 1600 cm 3 Wasserdampf werden [1]! Jedoch bleibt das Wasser zunächst in flüssiger Form, da es vom umgebenen Speichergewebe an der Ausdehnung gehindert wird. Dies bedeutet, dass das umgebende Gewebe einen so hohen Druck auf das Wasser ausübt, dass dieser dem Dampfdruck des Wassers entspricht oder übersteigt. Der Dampfdruck wiederum beschreibt den Druck, an dem die Flüssigphase und Gasphase bei gegebener Temperatur im Gleichgewicht ist. Mit steigender Temperatur steigt ebenfalls der Dampfdruck und damit die Kraft, welche von dem umgebenden Gewebe aufgebracht werden muss. Bei 170 °C ist der Dampfdruck des Wassers auf etwa 8 bar angestiegen; diesen Gegendruck kann das Speichergewebe nicht mehr aufbringen [2]. Das Gewebe platzt. Der Popcorn-Effekt bei elektronischen Bauteilen Ähnlich verhält es sich beim Löten eines elektronischen Bauteils [3]. Im Gegensatz zu früher bestehen die Gehäuse aktueller elektronischer Bauteile nicht mehr aus hermetischen Keramikgehäusen, sondern aus Kunststoff. Wird das Kunststoffgehäuse einer Umgebung mit Raumfeuchte ausgesetzt, nimmt es über die Zeit Feuchtigkeit auf, bis ein bestimmter Sättigungsgrad erreicht ist. Einfach nachweisbar ist dieser Vorgang über die Gewichtszunahme der elektronischen Bauteile. Das Wasser, welches sich bei falsch gelagerten Bauteilen im Gehäuse befindet, will ebenfalls bei den hohen Löttemperaturen gasförmig werden und übt somit einen starken Druck auf das Gehäusematerial aus. Bei typischen Löttemperaturen von 260 °C ist der Dampfdruck des Wassers auf rund 47 bar gestiegen. Dieser Druck ist ausreichend, um Adhäsionsbrüche an der Grenzfläche zwischen Vergussmasse und Halbleiter beziehungsweise dessen Träger zu erzeugen oder die Vergussmasse selbst platzen zu lassen. • äußerer Riss Auch wenn ein Riss den Halbleiter selbst nicht zerstört hat und die elektrische Funktion noch gegeben ist, verliert das Gehäuse seine Schutzwirkung und innere Strukturen werden den Umwelteinflüssen ausgesetzt. Nun können feuchte Medien in den Riss eindringen, im Spalt noch aggressiver werden [4] und die elektrische Funktion des Bauteils durch Korrosion verändern oder sogar zerstören. In diesem Szenario findet der Ausfall im Feld statt, was zu teuren Rückläufern führt und vielleicht sogar der Rückruf ganzer Chargen nötig wird. Ein solcher Fehler kann noch mit einfachen visuellen Analysemethoden entdeckt, betroffene Baugruppen entsorgt und der Prozess angepasst werden. • innerer Riss Doch was ist, wenn sich der Fehler nur auf das Innere des Bauteils beschränkt und beispielweise ein Adhäsionsbruch an der Grenzfläche zwischen Vergussmasse und Halbleiterchip vorliegt? In einem solchen Fall löst sich die Vergussmasse vom Halbleiter und es entsteht ein Hohlraum, welcher mit Wasserdampf gefüllt ist. Dies kann bei einer sehr großen Ausprägung sogar an der Oberfläche des Bauteils sichtbar werden. • Aufbau eines elektronischen Bauteils Hohlräume oder Risse sind aus unterschiedlichen Gründen problematisch, was durch den im Folgenden beschriebenen Aufbau elektronischer Bauteile genauer ver- Äußerer Riss in der Unterseite des TSOP-48-Gehäuses eines elektronischen Bauteils. Die roten Pfeile markieren Anfang und Ende des Risses 76 4/2022
Reflow Blick ins Innere eines SOP-Bauteils (small outline package) Blick ins Innere eines BGA-Bauteils (ball grid array) Defekte bei einem elektronischen Bauteil durch den Popcorn-Effekt deutlicht wird. Bei einfachen SOP- Gehäusen ist der Chip auf einem Träger bzw. Kupferblech (Leadframe) geklebt. Bei BGA-Gehäusen mit vielen elektrischen Kontakten wird dagegen das Leadframe durch eine Leiterplatte zur Verteilung der elektrischen Anschlussstellen des Halbleiters ersetzt. Mit sogenannten Bonddrähten werden die äußeren elektrischen Kontakte eines SOP-Gehäuses (Leadfingers) mit den Kontaktstellen des Halbleiters verbunden und eine elektrische Verbindung zwischen Halbleiter und Außenwelt ist gegeben. Diese Bonddrähte bestehen z.B. aus Gold, Kupfer, Kupfer- Paladium, Aluminium oder Silber und sind etwa 30 µm dick. Sie verlaufen durch die Vergussmasse. Wenn sich nun die Vergussmasse beim Löten löst und unter 4/2022 einem Druck von 47 bar vom Halbleiter entfernt, können diese Bonddrähte von ihren Verbindungsstellen gerissen werden. Dies verhindert die Funktion des Bauteils. Neben den Bonddrähten können auch die funktionellen Strukturen auf dem Halbleiter selbst durch eine solche Delamination geschädigt werden. Ein solcher Schaden kann nicht immer anhand äußerlicher Merkmale entdeckt werden. Somit muss neben einer optischen Inspektion des äußeren Gehäuses auch ein Blick in das Bauteilinnere geworfen werden. Hierzu eigenen sich z.B. Verfahren wie Röntgen oder akustische Mikroskopie. Akustische Mikroskopie – der Blick ins Innere der Bauteile In einem akustischen Mikroskop wird ein Schallkopf (Transducer) mit © HTV Conservation GmbH © HTV Conservation GmbH © HTV Conservation GmbH fester Frequenz verwendet, welcher die nötigen Schallwellen aussendet und gleichzeitig als Detektor für das reflektierte Signal dient. BGA-Bauteil im akustischen Mikroskop Für diese Art der Mikroskopie werden üblicher Weise Frequenzen zwischen etwa 10 bis 150 MHz verwendet. Wobei eine höhere Frequenz zu einer höheren lateralen Auflösung, dafür aber zu einer Verringerung der maximalen Eindringtiefe in die Probe führt. Um die nötige Auflösung zu erreichen, wird der Ultraschall fokussiert und das Mikroskop so ausgerichtet, dass der Fokuspunkt im Inneren des Bauteils liegt. Um nicht nur ausschließlich Reflektionen zu detektieren, befindet sich unterhalb der Probenaufnahme ein weiterer Ultraschalldetektor, welcher die transmittierten Ultraschallwellen detektiert. Wie in der Arztpraxis bei der Untersuchung des Körperinneren wird auch bei der akustischen Mikroskopie von elektronischen Bauteilen ein Koppelmedium benötigt, wobei hier vollentsalztes Wasser ohne Zusätze verwendet wird. Um eine tiefenaufgelöste Abbildung des Bauteils zu erhalten, wird der fokussierte Ultraschall über die Probe in x-y-Richtung bewegt, bzw. gerastert. Der eingekoppelte Ultraschall wechselwirkt an den in den Bauteilen bestehenden Grenzflächen. Er kann partiell oder total reflektiert sowie gestreut werden. Wie stark der Ultraschall an einer Grenzfläche reflektiert wird, hängt von der akustischen Impedanz der beteiligten Materialien ab. Die Impedanz ergibt sich im Wesentlichen aus dem Unterschied der Schallgeschwindigkeiten beider Materialien. Im Falle einer Delamination auf dem Halbleiterchip kann diese vereinfacht als Hohlraum angesehen werden. In guter Näherung © HTV Conservation GmbH 77
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